Die Zweite Sonate für Violine allein Werk 58 Nr. I

in der Bearbeitung für Gitarrensolo

Jörg Schnepel 
Johann Nepomuk David gilt in der musikalischen Fachwelt als ein ungemein streng arbeitender Komponist, dessen Werke sich in der Regel aus einem Thema oder einer Tonreihe entwickeln. Der kompositorische Satz wird in seiner ganzen stimmlichen Vielfalt so sehr vom monothematischen Prinzip geprägt, dass sich quasi keine Note im freien Raum bewegt, sondern letztlich auf die „Ur-Idee" zurückbezogen werden kann.
Dies geschieht freilich mit einer so überwältigenden Mannigfaltigkeit und Phantasie, dass dies dem Zuhörer nicht unmittelbar bewusst wird und selbst das Studium der Partituren oft kein Ende nimmt, wenn es darum geht, die einzelnen Verflechtungen des ganzen Stimmenkosmos geistig zu durchdringen. Nun stellt sich die Frage, ob neben der eben skizzierten Kompositionstechnik J. N. Davids auch die Instrumentierung so streng vollzogen wird, dass eine einmal vollendete Komposition ein absolutes Maß darstellt, von dem nicht abgewichen werden kann, d.h. dass das Werk sich nicht in einem anderen klanglichen Gewand auffuhren ließe.
Bei aller objektivierenden Vokalität der Musik Davids und zweifellos geradezu seelischer Verwandtschaft zu den Meistern der Renaissance und des Barock, einer „ad libitum" Technik hinsichtlich der Aufführungspraxis wie in den genannten historischen Epochen stand David seinen Werken sicherlich kritisch gegenüber. Zu sehr sind die Instrumentalkompositionen von den spezifischen Möglichkeiten der jeweiligen Instrumente geprägt, als dass sie sich ohne weiteres uminstrumentieren ließen. Dies gilt insbesondere für die Solosonaten, welche gerade einen besonders stark ausgeprägten individuellen Charakter artikulieren. Von daher bedarf die Transkription einer Violinsonate von J. N. David für Gitarre einer Legitimation, die um so schwieriger zu erhalten ist, als man diese vom Urheber nicht mehr erhalten kann.
So gibt es nur zwei Möglichkeiten, um dieses Unterfangen der Transkription eines Davidschen Werkes nicht von vornherein scheitern zu lassen, nämlich zu untersuchen, inwieweit J. N. David in seinem kompositorischen Oeuvre selbst von Bearbeitungen Gebrauch macht, d. h. eine Komposition in verschiedenen Instrumentierungen vorgelegt und eventuell sogar veröffentlicht hat, und 1.ob die innere kompositorische Struktur der Violinsonate eine Bearbeitung für Gitarre überhaupt zulässt.
Vielleicht überraschender Weise für den Kenner der Davidschen Musik, lassen sich erstaunlich zahlreiche Bearbeitungen durch den Komponisten selbst anführen.
Dabei nehmen drei von vier Gitarren- bzw. Lautenwerken eigenartigerweise eine nicht unwichtige Stellung in diesem Zusammenhang ein. 
Sowohl die Lautensonate Werk 31 Nr.5 als auch die Variationen fürBlockkflöte und Laute Werk 32 Nr.2 erschienen posthum im Jahre 1981 in der Fassung mit Gitarre an Stelle der Laute, und zwar mit der Einwilligung des Komponisten noch zu Lebzeiten desselben! Wie wichtig es David war, den originalen Lautensatz vollständig in der bearbeiteten Fassung für Gitarre zu bewahren, zeigt sich zum einen darin, dass die Stimmung und Transposition der Gitarre sich der Laute anzugleichen hat. Zum anderen lassen sich keinerlei Varianten in den zwei Fassungen feststellen. Es handelt sich also tatsächlich um eine „ad libitum" Fassung, und beide Werke, sowohl die Sonate als auch die Variationen nehmen diesbezüglich eine Ausnahmestellung im Gesamtwerk Davids ein. 
Das Trio für Flöte, Viola und Gitarre aus dem Jahre 1932 wurde von J. N. David zu Lebzeiten nicht veröffentlicht: Jedoch wurde der zweite Satz des Trios wiederum als zweiter Satz in der Orchesterpartita (Nr. I) im Jahre 1935, allerdings mit Varianten von David veröffentlicht, während das Fugenthema des dritten Satzes in dem Orgelwerk Fantasie und Fuge e-moll von 1935 Verwendung fand. 
Das Trio selbst wurde dann wie die oben genannten Gitarrentranskriptionen 1981 posthum veröffentlicht, ob noch mit Zustimmung des Komponisten, entzieht sich allerdings meiner Kenntnis.
Ein markantes Beispiel der Davidschen Bearbeitungskunst zeigt sich am zweiten Satz Melancholia aus Magische Quadrate - Symphonische Phantasie für Orchester Werk 52, denn diese Komposition wurde von J. N. David auch in der Fassung für Bratsche - Solo und Kammerorchester Werk 53 veröffentlicht. 
Während die erste Fassung eine umfangreiche und farbige Instrumentierung (Holzbläser einschließlich Saxophon, Blechbläser, Pauken, Schlagzeug, Harfe und Streicher) verlangt, reduziert sich der Klangkörper der zweiten Fassung lediglich auf Solo-Bratsche und Streichorchester. Die formale Anlage (Adagio-Scherzo-Adagio) bleibt unangetastet, doch wird in Werk 53 die musikalische Aussage stärker verdichtet formuliert (es ist um 132 Takte kürzer als Werk 52) und beinhaltet womöglich eine noch stärkere Ausdruckskraft. 
Der sechste Satz aus Choralwerk X Es ist ein Schnitter, heißt der Tod für Orgel stellt eine Phantasie über die lateinische Sequenz Dies irae, dies illa dar und gehört sicherlich zum eindrucksvollsten Schaffen in dem so überaus reichen Orgelwerk des Komponisten. Bezeichnenderweise findet dieser Satz im Requiem chorale für Soli, Chor und Orchester Werk 48 im vierten Satz Verwendung, freilich stark transformiert und ausgedehnt, doch stets nachvollziehbar (nicht nur auf das markante Vorschlagsmotiv bezogen).
Es sei noch auf das Divertimento nach alten Volksliedern Kume, kum, geselle min Werk 24 für Orchester (Solo-Holzbläser, Solo-Horn, Pauke, Schlagzeug, Harfe, Celesta und Streicher) hingewiesen, welches auch in der Fassung für Bläserquintett und Klavier herausgegeben wurde, wobei der Klaviersatz im übrigen nicht von David selbst angelegt wurde, sondern von W. Bohle. 
Diese wenigen Beispiele mögen zeigen, dass J. N. David Bearbeitungen nicht nur aufgeschlossen gegenüberstand, sondern dass sie seine Phantasie wesentlich anregten und zum kompositorischen Handwerk schlechthin gehörten. Eine abgeschlossene Komposition konnte, ja musste von David in einem anderen klanglichen Gewand formuliert werden, wenn er dafür eine künstlerische Notwendigkeit sah. Freilich bedeutete für ihn Bearbeitung immer auch Variation, d.h. eine 1:1 Übertragung erschien ihm wenig sinnvoll und wäre auch technisch vielfach gar nicht zu realisieren.
Es ist zu vermuten, dass die oben genannten Lautenwerke nur deswegen als textidentische Gitarrentranskriptionen herausgegeben wurden, um dieser Musik eine größere Verbreitung zu ermöglichen. (Ob das Wesen der Lautenmusik sich so ohne weiteres auf der Gitarre darstellen lässt, wäre allerdings zu diskutieren.) Es soll nicht unerwähnt sein, dass J. N. David sich auch als Bearbeiter von Werken anderer Meister hervorgetan hat, nämlich Sechs dreistimmige Fugen von J. S. und W. F. Bach in der Bearbeitung für Streichtrio von W, A. Mozart, denen David interessanter Weise einen einleitenden langsamen Satz hinzukomponierte. Außerdem sei noch auf die Fantasie für Oboe und Orgel von J. L. Krebs in einer Klavier/Cembaloübertragung und die Einrichtung der Ouverturensuite BWV 1070 für Streichorchester und Basso Continuo von J. S. Bach hingewiesen. 
Kommen wir nun zur Violinsonate in meiner Bearbeitung für Gitarre. Als erstes muss erwähnt werden, dass die Gitarrenfassung sich vollkommen an die Urfassung anlehnt. Es wird direkt aus der Violinpartitur gespieft, es treten keinerlei Transpositionen irgendwelcher Töne auf (selbstverständlich erklingt die Gitarre eine Oktave tiefer als die Violine), keine Töne werden ausgelassen oder hinzugefügt. Von daher handelt es sich tatsächlich um eine schon oben erwähnte 1:1 Übertragung, wobei der Begriff Bearbeitung sich mehr als Einrichtung der Spielbarkeit (Fingersatzeintragungen) verstehen lässt. 
Neben der genauen Textwiedergabe gilt es auch, die sehr differenzierte Artikulation und Dynamik so getreu als möglich wiederzugeben. Akzente, Staccato-, Legate- oder Portatoanschläge, Flageolettöne, Pausensetzungen, Bindungen von Einzel- und Doppeltönen sowie die sehr abwechslungsreiche Phrasierung werden streng beachtet. Lediglich an zwei Stellen, im ersten Satz (Durchführung) und im zweiten Satz, ist die Pizzikatoartikulation durch einen normalen Anschlag ersetzt worden.
Besonders betont werden muss der für die Gitarre ausgesprochen passende Tonumfang der Violinsonate, so dass, wie schon oben erwähnt, keine Transpositionen notwendig sind, die unweigerlich zu Änderungen der Intervallstrukturen führen würden, was sich bei einer derart strengen motivisch-thematischen Werkanlage von selbst verbietet.
Es ist kaum überraschend, dass J. N. David, der von manchen als der führende Polyphonist des 20. Jahrhunderts angesehen wird, auch dieser Sonate ein über weite Strecken polyphones Gewand verleiht. Bei aller Brillanz der mehrstimmigen Spielpraxis auf Saiten der Violine, vieles kann von diesem Instrument mehr angedeutet als verdeutlicht werden. Darin liegen zweifellos die Vorteile der Gitarre, die dem vertikalen Aspekt der Komposition wesentlich besser gerecht werden kann: drei- und vierstimmige Akkorde erhalten die ihnen angemessene Resonanz (z. B, die von David so geliebte doppelte Quinte), Einstimmige „horizontale" Linien werden von David in diesem Werk - ein Charakteristikum seines Spätwerks-vielfach nicht mehr linear gestaltet, sondern werden durch Oktavierungen räumlich erheblich geweitet, was zu einer enormen Ausdruckssteigerung beiträgt. Die dadurch häufig entstehende zumindest latente Zwei-, Drei- oder gar Vierstimmigkeit gilt es als Interpret dieser Musik nachzuzeichnen, auch wenn das von David gewählte Notenbild lediglich Einstimmigkeit suggeriert. In diesem Zusammenhang sei auf eine Besonderheit der Gitarristik zu Beginn des 19. Jahrhunderts hingewiesen, deren Musik in einer Art Violinnotation aufgeschrieben wurde. Obwohl eine mehrstimmig-akkordische Spielweise Verwendung fand, wurde diese nicht adäquat im Notenbild wiedergegeben. Der namhafteste Vertreter dieser "veralteten" Notation, die ab ca. 1820 der stimmführungsgetreuen Notation weichen sollte, dürfte Niccolo Paganini sein, der heute mehr als Violinist denn als Gitarrist bekannt ist, obgleich er eine große Fülle von Solosonaten für Gitarre sowie Trios und Quartetten mit Gitarre und Streichern komponierte. Aber auch andere Gitarristen wie Francesco Molino oder Ferdinande Carulli spielten hervorragend die Violine (der erstere schrieb sogar Violinkonzerte), und der herausragende Gitarrenvirtuose Mauro Giuliani soll bei der Uraufführung der Siebenten Symphonie von Ludwig van Beethoven am ersten Cellopult gesessen haben. 
Dies verdeutlicht, wie sehr sich Violin-und Gitarrenmusik gegenseitig beeinflusst und ergänzt haben, wo bestimmte Techniken des einen Instruments auf das andere übertragen wurden und zur Durchmischung der stilistischen Interpretation führten.
J. N. David muss diese geradezu „historische" Verwandtschaft von Violine und Gitarre intuitiv erfasst haben, denn ansonsten hätte er, dessen bevorzugte Instrumente die Orgel und die Streicher waren, wohl wie kein anderer seiner Generation die Gitarre (Sonate für Flöte, Bratsche, Gitarre Werk 26) bzw. die Laute -Instrumente, deren Blütezeiten zu Beginn des 20. Jahrhunderts längst erloschen waren - mit herausragenden Werken bedacht.
 

Die Bedeutung von Josquin des Prez
und Johann Sebastian Bach im Schaffen von J. N. David

Johann Nepomuk David war ein Komponist, der sich nicht nur mit den vielseitigen musikästhetischen Konzepten seiner Zeit auseinandersetzte, sondern gleichzeitig über eine außerordentlich breite Kenntnis der musikalischen Historie verfügte. Dieses Wissen blieb beileibe nicht nur von theoretischer Natur, auch wenn J. N. David bedeutende Schriften über Die Jupiter-Symphonie von W. A. Mozart, die Motette Os Justi von A. Bruckner und Die zweistimmigen Inventionen, die dreistimmigen Inventionen, Das wohltemperierte Klavier von J. S. Bach verfasst hat. Vielmehr sind historische Einflüsse auch in seinem kompositorischen Schaffen festzustellen, wobei neben Anton Bruckner vor allem zwei Komponisten eine zentrale Stellung in Davids musikalischem Denken einnehmen, nämlich Josquin des Prez und insbesondere Johann Sebastian Bach. 
Wann David mit dem Werk des großen Renaissance-Meisters in Berührung kam, lässt sich sicher nicht mehr genau feststellen, womöglich hat er als Sängerknabe am berühmten Augustinerstift St. Florian in Oberösterreich ab 1905 Motetten von Josquin aufgeführt. Zwanzig Jahre später, nachdem er der damaligen äußersten Moderne verbunden war, wandte er sich der Kunst Josquins und Bachs zu und schuf in über fünfzigjähriger kompositorischer Arbeit aus diesen Wurzeln der europäischen Musik ein gewaltiges Gesamtwerk neuer polyphoner Kunst. Dieser Seelenverwandtschaft mit den historischen Meistern blieb er zeitlebens treu, und auf Josquin bezogen wurde dieser für David ein musikalischer „Leitstern, (dem) ich mich am nächsten verwandt fühle und verehre ihn als den größten Meister der in sich sinnvollen, freien, vokalen Linie. Es ist durchaus möglich, dass diese Verehrung auch aus meinen Chorwerken spricht."
Bezeichnenderweise wird das gedruckte Gesamtwerk J. N. Davids mit einem Chorwerk, dem sechsstimmigen Stabat mater eröffnet, während das umfangreiche Jugendwerk (Symphonie, Kammermusik, Lieder) unveröffentlicht bleibt. Auf die Bedeutung J. S. Bachs im Schaffen von J. N. David an dieser Stelle insbesondere eingehen zu wollen, wäre wenig sinnvoll; zu umfangreich wäre dieses Anliegen. Es muss jedoch erwähnt werden, dass der große Barock-Meister die stärkste Beeinflussung für David darstellt; Allein die Kunst der Fuge wurde von David grenzenlos verehrt, und man kann diesen Werktitel getrost auf das gesamte Oeuvre Davids beziehen, in dem stets von Imitation, Kanon und Fuge Gebrauch gemacht wird. So ist das Orgelwerk, dem größten zusammenhängenden Opus für dieses Instrument seit Max Reger, ohne das Schaffen des Thomaskantors nicht zu denken.
Es ist demnach naheliegend, in dieser Matinee den Werken Johann Nepomuk Davids Kompositionen von Josquin des Prez und Johann Sebastian Bach an die Seite zu steilen.
Am Beginn stehen drei Kompositionen aus Der ander theil des Lautenbuchs aus dem Jahre 1536 von Hans Newsidler, einem berühmten Lautenisten aus der I. Hälfte des 16. Jahrhunderts, welcher in Nürnberg wirkte. 
Nach Ein gut trium mit schoenen fugen, eine kunstreiche selbstkomponierte Fantasie, folgen zwei Intavolierungen von Josquin des Prez, nämlich die Chanson Mile regretz und die Motette Memor esto verbi tuiservo tuo. Bei dem spanischen Zeitgenossen Newsidlers, Luys de Narvaez, erhalten wir in seinem Vihuela-zyklus Delphin de musica (Valladolid 1538) von La cancion del Emperador Mille regres den Hinweis, dass dieses Werk Josquins zu den bevorzugten Stücken des damaligen Kaisers Karl V. gehörte. Das tief melancholische Werk gehört zur Gattung der „Regretz-Chanson", von denen eine große Fülle zu Beginn des 16 Jahrhunderts entstanden. Allein in dem Chansonnier von 1511 der Margarete von Österreich gewidmeten Sammlung von vierundzwanzig Kompositionen befinden sich sieben "Regretz-Chansons von namhaften Zeitgenossen Josquins. Interessanterweise verwendet J. N. David in seinen Variationen über ein Thema von Josquin des Pres für Flöte, Hörn und Streichorchester Werk 62 aus dem Jahre 1966 ebenfalls ein „Regretz'-Thema, nämlich Parfons regretz, die Quinta pars aus dem fünfstimmigen Werk von Josquin.
In der groß angelegten zweiteiligen Motette Memor estoverb tui -servo tuo werden von Josquin sechzehn Verse aus Psalm 119 (Psalm 118 in der Vulgata) vertont. Über ihre Entstehungsgeschichte erfahren wir von dem zeitgenössischen Musiktheoretiker Heinrich Glarean folgendes: 
Der französische König, Ludwig XII., hatte Josquin eine Gunst versprochen. Als das Versprechen unerfüllt blieb (wie es an den Königshöfen nun einmal üblich war), komponierte Josquin die Motette Memor esto verbi tui (Erinnere dich an dein Wort). Sie war von solch einer Würde und Eleganz durchdrungen, daß sie selbst nach strengster Untersuchung der Sängerschule allerorts bewundert wurde. Von Scham erfüllt löste der König sein Versprechen umgehend ein. 
Während in der Chansonintavolierung Newsidler das Original gemäß der damaligen Praxis stark verziert, erscheint die Motettenintavolierung praktisch als ein Lautenauszug des vierstimmigen Vokalsatzes. Die wortgezeugte Melodik und intensive Imitationstechnik bleibt im Lautensatz stets erhalten und offenbart die Ehrfurcht und Demut des Bearbeiters gegenüber dem Schöpfer dieser einzigartigen Kunst.
Nach dem g-moll Schlussakkord der Motette präsentiert sich die anschließende Sonate für Laute allein Werk 31 Nr. 5 aus dem Jahre 1943 quasi in gleicher Tonart, doch zeigt sich die Tonsprache enorm weiterentwickelt. Die Dissonanz ist mittlerweile so etabliert, dass das harmonische Geschehen starken Spannungen ausgesetzt ist, .welches eine klassische Deutung nicht mehr ohne weiteres zu-lässt. Vielfach ist die vertikale Dimension Ergebnis horizontaler Abläufe. Im I. Satz Ohne Bezeichnung findet die Sonatenform Anwendung. Auffallend ist der Gebrauch einer sehr engmaschigen motivischen Imitation, gepaart mit einer differenzierten Dynamik und Klangfarbe. Der 2. Satz Langsames Menuett ist dreiteilig aufgebaut: Menuett-Trio-Menuett, wobei das letzte Menuett als Figuralvariation erscheint. Die ausgesprochene Quartenharmonik und Melodik verleihen diesem Satz eine eigentümliche Herbheit, die aber durch weitgespannte Linien stets ausdrucksvoll bleibt. Der 3. Satz Gehende Viertel stellt eine dreistimmige Fuge mit anschließender Coda dar. In diesem Satz werden neben dem Thema auch die Zwischenspiele fugiert, Merkmale die schon in der Motettenintavolierung deutlich hörbar werden, nämlich jeden neuen musikalischen Gedanken durch den Gebrauch der Imitation durch sämtliche Stimmen zu führen. Dabei verwendet J. N. David in der Engführung besondere „ altniederländische" Konstuktionstechniken. So erscheint das Thema gleichzeitig in Originalgestalt und Augmentation (Vergrösserung), was an den altehrwürdigen Mensuralkanon der franko-flämischen Schule des 16. Jahrhunderts erinnert. Der 4. Satz Energisch voran ist ein Virtuosenstück in Toccataform. Die fünfteilige Anlage umfasst drei Abschnitte repititionsartiger Melodik: im ersten quasi ein Tremolieren auf gleicher Tonstufe, an zweiter Stelle zur Zweistimmigkeit geformt und zum Abschluss in hymnischer Art zur Vier- und Fünfstimmigkeit erweitert. Dazwischen stehen zwei kanonisch gearbeitete Abschnitte, deren Kopfmotiv schon aus dem 3. Satz bekannt ist. 
Überhaupt lassen sich nach eingehender Analyse der Sonate eine Vielzahl von motivisch-thematischen Verbindungen innerhalb der vier Sätze nachweisen, die hervorragend die geistige Durchdringung der musikalischen Materie durch den Komponisten aufzeigen und so die Sonate dem Interpreten wie dem Zuhörer als ein in sich vollkommen abgerundetes Kunstwerk erscheinen.
Den Abschluss des Matineekonzerts bildet die Suite Nr. I für Violoncello BWV 1007 von Johann Sebastian Bach in einer Bearbeitung für Gitarre von dem englischen Komponisten John William Duarte aus dem Jahre 1982. Die Originalkomposition entstand in der Zeit zwischen 1717 bis 1723, als J. S. Bach Hofkapellmeister des Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen war, welcher selber die Gambe spielte. Das Werk umfasst sechs Sätze, denen die damals beliebtesten Tänze zugrunde liegen: Allemande, Courante, Sarabande, Menuet I, II und Gigue. Eingeleitet wird die Suite von dem heutzutage sehr populären Prelude. Bach hat im übrigen selbst eine Violoncellosuite in c-moll BWV 1011 als Suite g-moll für Laute bearbeitet, sowie die Violinpartita (!) BWV 1006 als Suite E-Dur für Laute.
Möge das vorliegende Konzertprogramm das enge kunstästhetische Verhältnis Johann Nepomuk Davids zu den Meistern der Renaissance und des Barock um Josquin des Prez und Johann Sebastian Bach aufzeigen, so nicht weniger die Bedeutung der Bearbeitung in der musikalischen Kunst: Die Bearbeitung tritt als selbstständige Kunstform dem Original zur Seite, wobei sie sich qualitativ auf ebenbürtigem Niveau mit jenem befindet und das einmal Gesagte in neuer Spiritualität formuliert.

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