„Ein Mensch, in dem die Musik selber west”

Reflexionen über die Davidtage 2007 im österreichischen Linz

Herbst und Frühling, Licht und Gegenlicht färbten die Davidtage derInternationalen Johann Nepomuk David-Gesellschaft, die vom 10. bis 12. Oktober 2007 in der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz ausgerichtet waren. Die Konzerte - drei in nobler Verbindung mit dem dank seiner Architektur wie seiner Akustik weltberühmten Brucknerhaus, eines in der Lutherkirche - zum 30. Todestag des Komponisten (22. Dezember 1977, N.B. dem 52. Geburtstag seines Sohnes Thomas Christian) erzeugten aus durchdacht strukturierten Programmen ein weites Feld der Spannungen von Kompositionen, Generationen und Interpretationen.
Zu einem Abend der Freude geriet das Eröffnungskonzert der Upper Austrian Sinfonietta unter Peter Aigner im gut besuchten großen Saal des Brucknerhauses. Das oberösterreichische Jugendorchester (eines von vier und quasi deren Vorschule) in sinfonischer Besetzung verfügt - außer Holz, Blech und Schlagwerk - über 47(!) Streicher (davon nur sieben Jungen). Wer die Topographie dieses Bundeslandes kennt, wird bereits der bloßen Organisation gemeinsamer Proben Respekt zollen. Aigner hatte das Programm klug im Rahmen zweier David-Werke, ausgehend von dessenDeutschen Tänzen (1953) aufs Tänzerische in Geschichte und Gegenwart gestellt.
Man spürte deutlich, dass Lanner und Schubert den jungen Musikern schon im Erbgut veranlagt sind, während die munteren David-Tänze mit wachsender Vertrautheit ähnliches Niveau erst noch erreichen werden. Die Auswahl aus Ottorino Respighis Orchesterversion edelsüßer Antiche danze ed Arie - besonders jener mit elf(!) Bratschen ging unter die Haut. Die uraufgeführten Tänze um das goldene Kalb von Thomas Asanger (geb.1988) kamen nicht nur dem Rezensenten dünn und albern vor, sei es in der Wahl eines Fagottes als Gottes Stimme, eines Paares Hörner für den gehörnten Moses oder mit dem rumbarhythmischen Cross-over-Anlauf (Gelächter im Saal). Das war nicht einmal Comic. Überraschend erfuhren abschließend Davids fünf Variationen über ein Thema von J.S.Bachaus den Schemelli-Liedern, op. 29a (1953) eine erstaunlich ausgereifte Aufführung. Dass es in den hohen Lagen an der Intonation haperte, darf man einem Ensemble von 13- bis 18-Jährigen noch nicht anlasten. Vielmehr ist solches Engagement ein hocherfreuliches, für Johann Nepomuk David zukunftsweisendes Signal.
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Der zweite Abend im mittleren Saal - mit dem monumentalen Wandteppich des hinauf ins Mühlviertel führenden „Haselgrabens" - stand ganz im Zeichen der Kammermusik. Beide David-Trios - das ältere aus Detmold/Deutschland mit Johann Nepomuks zweitem Sohn Lukas David, Violine, Sibylle Langmaack, Viola, Norbert Ginthör, Violoncello, das jüngere mit Davids Großnichte Sabine Reiter, Violine, Peter Aigner (s.o..), Viola, Andreas Pözlberger, Violoncello, aus Oberösterreich. Ersteres trug statt des angezeigten und erhofften dritten, Guarneri gewidmeten das vierte, auch in Blaubeuren 2005 gebotene, düster und verschlossen gestimmte „Stainer“-Trio bei. Das österreichische Ensemble gab - ein Höhepunkt der Davidtage! - geradezu mitreißend das zweite, offenere, lichtere, auch transparentere sog. „Stradivari“-Trio. Auch die zwischen Ensembles zweier Generationen gegebene Spannung wurde als ganz eigene Kontrapunktik erlebbar: ererbte Traditionsstrenge gegenüber sich morgenfrisch und neu begeisternder Impulsivität. Zusätzliche Aufmerksamkeit erregte die Wiedergabe durch den voluminösen Klang der homogenen Instrumente junger Linzer Geigenbauer.
Begonnen hat das faszinierende Programm mit einer von beiden Trios bravourös gemeisterten Uraufführung der hochinteressantenVierzehn Mikroludien für Streichsextett in memoriam JND von Rudolf Jungwirth (geb.1955), die ihre Entstehung einer Anregung von Sabine Reiter verdanken. Wie mit musikalischem Dynamit hochexplosiv geladen, erweckten die schier berstenden Miniaturen den Eindruck, als ob sie einer in größere Formen ausgreifenden Gestaltung erst noch harrten. - Dass dennoch die Summe zweier Trios nicht ipso facto zum Sextett wird, erwies abschließend op. 36, G-Dur, von Brahms. Minutenlanger Applaus krönte einen großen Abend im Zeichen von Erbe und Auftrag.
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Einen Aufriss zur Geschichte der Chorliteratur präsentierte am dritten Abend der auf Virtuosität getrimmte und ergo weltweit bekannte Wiener Concentus vocalis, den Herbert Böck augenscheinlich zu circensischen Leistungen aufzupeitschen nicht müde wird, mit seinem diesjährigen Tourneeprogramm Vom Wachsen und Vergehn.Kenner von Neuem Testament und Mess-Ordinarium oder sonstwie einigermaßen mit geistlicher Musik Vertraute mögen ja vier der sechs vertonten Texte auswendig können. Das rechtfertigt aber das Fehlen von Textblättern nicht, ohne die man erst recht im übrigen Programm schlichtweg aufgeschmissen blieb.
 
Davids nur perfekt vorgetragene neunstimmig-doppelchörige, apokalyptische Motette (SATB/SSATB) Und ich sah einen neuen Himmel, op. 23/2, aus dem Jahr 1939 ergriff dennoch durch ihre Glaubensinbrunst. In ihrer kontrapunktisch-horizontalen Linearität steht das Werk grundsätzlich Frank Martins etwa gleichzeitiger, aber vertikal-harmonikal konzipierter Messe für zwei vierstimmige Chöregegenüber - eine besonders attraktive Spannung innerhalb des methodisch angelegten und erläuterten Programms. Schein und Schütz standen als Davids Wahlahnen für die Anfange „moderner" Chormusik, beide leider ungenau in den Anfängen und religiös wenig ergreifend gesungen.
Die Möglichkeiten der Machbarkeit respektieren auch hier keine Grenzen. Furiose Non-plus-ultras extremistischer Partituren - ohne Text zum Mitlesen weder zugänglich noch einsichtig - zeitigen Herwig Reiter (geb.1941) mit einem - nunmehr zu David kontrastierendem - weltlichen Weltuntergangstext Es ist Feuer unter der Erde von Ingeborg Bachmann. Akrobatischer noch Wolfgang Sauseng(geb.1956), welcher - selbst Organist an der Michaelerkirche in Wien - zur Frage Wo wohnt die Seele (Text: Erich Rentrow) ausgerechnet unaufhörlich einen Mondgott anruft. Der häufige Wechsel von Sprechen und Singen ist nur mit Hilfe etlicher Stimmgabeln möglich, aus denen die Ausführenden ihren je nächsten Ton herleiten müssen. Ihre vokaltechnischen Leistungen sind phänomenal. Mehr geht nicht. Geht noch mehr? Rasender Beifall. Dieser Chor kann alles. Schade.
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Der Mittagsstunde in der Martin-Luther-Kirche mit Werken von Hans Stadlmair (geb.1929) und David verdanken wir eine stille Insel des Betens in Musik. Außer Variationen aus dem Choralwerk II überVater unser im Himmelreich durfte man besonders gespannt sein auf Davids einzigen Beitrag zur Gattung Lied, die kaum aufgeführten sog. Gottesminnelieder für Frauenstimme (Andrea Wögerer) und Orgel (Kristian Schneider) Ich stürbe gern aus Minne (1942) zu Texten der Mechthild von Magdeburg. Noch vor Meister Eckhart schrieb die hochgebildete Nonne, deren 800. Geburtstag ja auch 2007 zu erinnern ist, in deutscher Sprache die ersten mystischen Texte überhaupt. Implosiv eingeschmolzene Miniaturen hochgotisch-ekstatischer Versenkung gälte es zu entbinden und (in einer sexualisierten Welt) authentisch und glaubhaft zu vermitteln. Dazu bleiben gerade 124 Takte Zeit in vier tonal metamorphotisch gestimmten kurzen Sätzen. Vertrackt beginnt die Orgel sofort mit der Verkleinerung des Themas, dem sogleich - und ehe es überhaupt hauptthematisch in der Singstimme aufkommt - in enggeführtem Kanon dessen chromatisch verfärbte Normalgestalt voraus läuft: kompositorische Reflexion der mystischen Initiation. Dergleichen mehr und leicht zu unterschätzende Schwierigkeiten ließen den Vortrag im ganzen leider noch etwas monochrom und unsicher ausfallen.
Das beStsondere Geschenk der Stunde wurden vier Lieder ausStadlmairs Miriam-Zyklus für Sopran und Tenorhackbrett (einschließlich Textblatt!), die man umso gespannter erwartet hat, als sie mit Rilkes Marienleben dieselben Texte vertonen wie schon Paul Hindemith. Dem Lauschenden stellten sich die innigen Bilder gotischer Verkündigungs-Tafelmalereien ein in glaubwürdiger Verwandlung ins Heute. Schon mit den ersten Klängen bezauberte die schlechthin grandiose Hackbrettistin Franziska Fleischanderl. Dazu gab der kühle, auch in extremen Intervallen treffsichere, noch in höchsten Höhen mühelose und - eine Seltenheit - in dieser Stimmlage erstaunlich textverständliche Sopran von Gotho Griesmeier Rilkes persönlicher, die Grenzen der Theologie ins Weltliche überschreitenden Marienmystik jenes überzeugende Timbre ebenso gebannt-gebundener wie explosiver Expression, das ich auch für die Gottesminnelieder wünschen möchte. Wir möchten zu anderen Davidtagen Stadlmairs ganzen Miriam-Zyklusvorschlagen, vielleicht gar in einem mit Hindemith vergleichenden Seminar.
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Abermals sind intensive Davidtage vergangen, die nachdenken machen. Vielerlei gab es 2007 zu vergleichen: Auch J. N. David war „ein Mensch, in dem die Musik selber west und der in vollkommenem Gehorsam zu ihr sein Leben verbraucht" hat, wie er von J. S. Bach gesagt hatte. Brücken in die Zukunft sind geschlagen von Davids Zeitzeugen hin zum Streichtrio der nächsten Generation, zum Orchester der übernächsten. - Auf Wiedersehen in Karlsruhe vom 17. bis 19. Oktober 2008.
Eberhard Maria Zumbroich
 

BRUCKNERHAUS: Start der David-Tage

Sauber und mit Hingabe

Von Franz Zamazal
Linz begeht den 30. Todestag von Johann Nepomuk David im Brucknerhaus mit drei speziellen „Tagen“. David, bedeutendster Komponist Oberösterreichs nach Anton Bruckner, ist heute fast vergessen.
Das Augenmerk auf ihn zu lenken, hat Oberösterreich allen Grund, denn in der Jugend erhielt er hier künstlerische Impulse und im Alter die Auszeichnung mit dem Bruckner-Preis.
Den Anfang der David-Tage machte die „Upper Austrian Sinfonietta“, ein groß besetztes Jugendorchester des oö. Landesmusikschulwerks, das sich am Mittwoch mit anspruchsvollen Aufgaben unter der umsichtig rührenden Leitung von Peter Aigner erstmals im Brucknerhaus vorstellte.
Die Werkwahl schöpfte aus den Quellen David und Tanz und war dem technischen Können sowie der künstlerischen Kapazität der Jugendlichen angepasst. Das saubere Musizieren zeichneten viel Hingabe und konzentrierte Aufmerksamkeit aus. 
Das Schaffen Davids verdeutlichten „Deutsche Tänze" und Bach-Variationen, bei denen die Klangwelt des Meisters zum Greifen nahe war. Tänzerisches von Lanner, Schubert/Webern, Respighi und erst recht bei der Strauß-Zugabe gelang locker. Thomas Asanger (geb.1988) war mit der Uraufführung der „Drei Tänze um das Goldene Kalb für Fagott und Orchester“ vertreten; drei kurzweilige prägnante Sätze, vom Solisten Michael Hinterreiter ansprechend vorgetragen.
Oberösterreichische Nachrichten: am 12.10.2007 zum 11.10.2007
 

KONZERT: David-Tage im Brucknerhaus

David-Doppeldreier

Von Michael Wruss
Der zweite Abend der David-Tage Linz aus Anlass des 30. Todestages des oberösterreichischen Komponisten stellte die Sparte der Kammermusik in den Mittelpunkt. So trafen sich am Donnerstag im Brucknerhaus die beiden David-Trios – jenes aus Detmold und jenes aus Oberösterreich.
Zu Beginn wurde mit den 14 Mikroludien von Rudolf Jungwirth ein spannendes Stück für die seltene Besetzung des Streichsextetts uraufgeführt. In memoriam Johann Nepomuk David entstanden 14 „Gedenksteine", von denen je zwei bedeutenden oberösterreichischen Musikern gewidmet sind: z. B. Augustinus Franz Kropfreiter, August Humer oder Erich Posch. Trotz ihrer beinahe aphoristischen Knappheit gelang es, charaktervolle Stimmungen auszulösen, vom „Doppeldreier" hingebungsvoll musiziert.
Dann das 4. Trio aus op. 33, dem Absamer Geigenbaumeister Jacobus Stainer gewidmet. Das Detmolder David-Trio, angeführt vom 73-jährigen Sohn des Komponisten, Lukas David, spielte mit höchster Präzision, aber auch mit akademischer Strenge.
Das oö. David-Trio spielte das Stradivari-Trio (op. 33/2): Hier wurden aus den peniblen kontrapunktischen Verschlingungen lebendige Klänge.
Der Abend schloss mit dem zweiten Streichsextett op. 36 von Johannes Brahms, das derart viel Applaus erntete, dass es wiederholt wurde.
Oberösterreichische Nachrichten: zum 11.10.2007 
 

BRUCKNERHAUS: David-Tage

Überwältigendes

Von Franz Zamazal
Der letzte Abend der Linzer „DavidTage" brachte am Freitag im Brucknerhaus A-cappella-Werke vom Besten, dargeboten vom Wiener „Concentus Vocalis“ in bewundernswerter Qualität als Ergebnis sorgfältigster Einstudierung und Leitung durch Herbert Bock. Das Ensemble aus 32 überwiegend jungen Stimmen überraschte auf allen Ebenen des Chorgesanges. Die Ausdrucksskala reichte von feinstem, aber klingendem Pianissimo bis zur explosiven Ekstase.
Verständlich, dass der Klangkörper weit über Österreich hinaus einen hervorragenden Namen besitzt, und das für überaus anspruchsvolle Werke.
Aufhorchen
Das Programm im ersten Teil stellte J. N. David zwischen die Pole Alt und ganz Neu. Frühbarocke Motetten des 17. Jahrhunderts (Schein, Schütz) wirkten ganz frisch und anrührend. Die David-Motette „Und ich sah einen neuen Himmel“ (1939) dokumentierte eindringlich die Position des Komponisten als Außenseiter des 20. Jahrhunderts.
Die Gegenwart ließ aufhorchen mit Kompositionen von Herwig Reiter (geb. 1941) und Wolfgang Sauseng (geb.1956), deren Werke trotz der potenzierten Schwierigkeiten einen starken Eindruck hinterlassen haben.
Auch Teil zwei (Frank Martin, 1890-1974) gelang überwältigend. Stürmischer Beifall. 
Oberösterreichische Nachrichten: zum 12.10.2007

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