Johann-Nepomuk David, 1895 - 1977

Elisabeth Biener
Johann Nepomuk David wurde am 30. November 1895 in Eferding / Oberösterreich geboren, in demselben Jahr wie Hindemith und Orff, denen er nicht an Bekanntheit, wohl aber an Bedeutung gleich ist. Aufgewachsen als viertes von dreizehn Kindern einer musikliebenden Familie, in der viel gesungen wurde, kam David im Alter von zehn Jahren als Sängerknabe ans Augustiner-Chorherrenstift St. Florian, wo zuvor Anton Bruckner gewirkt hatte. Die feierliche Ausgestaltung des Gottesdienstes, Orgelmessen und a-cappella-Kompositionen wurden so zu frühen Eindrücken. Daneben auch Symphonien von Mozart, Beethoven und Schubert, die bei Gelegenheit im Stift musiziert wurden. David erhielt Klavier- und Violinunterricht und erlernte beide Instrumente sowie später Orgel mit Leichtigkeit. Mit der Mutation kam David nach Kremsmünster, wo er neben der Schulausbildung Gelegenheit zum kammermusikalischen Spiel hatte. Hier brachte er sich Flöte und Violoncello autodidaktisch bei.
Der Beruf als Lehrer war für David, allein schon aus finanziellen Gründen, vorgezeichnet. So wurde die Bischöfliche Lehrerbildungsanstalt in Linz die nächste Ausbildungsstätte. Aus dieser Zeit stammt die erste Beschäftigung mit dem Werk Bachs, die sich später intensiv in seinem kompositorischen Werk niederschlug und neben anderen auch in seinen überaus sorgfältigen, feinsinnigen Analysen der Inventionen und Symphonien Bachs. Jahre des Unterrichtens im entlegenen ländlichen Raum (1915 - 1924 in Peterskirchen, dann Waizenkirchen) ließen David eine teilweise fast unerträglich Einsamkeit und ein völliges Auf-sich-Gestelltsein erleben. Noch immer war die Suche nach einer authentischen Ausdrucksweise nicht abgeschlossen. Ein Studienjahr (1921 - 1922) in Wien wurde ihm ermöglicht. Die geistigen und musikalischen Strömungen der Zeit (insbesondere Reger, Debussy, Skrjabin, Ravel) nahm er intensiv auf. Die gleichzeitige Beschäftigung mit Schönberg zeigt David, daß dessen Weg für ihn nicht der richtige ist. Er wendet sich den Quellen der abendländischen Musik zu, vor allem Josquin Desprez, dessen Musik in der Verbindung von sorgfältiger Konstruktion und klanglicher Schönheit vorbildlich für ihn wird. Die Möglichkeit der Polyphonie nach Josquin, Bach, Reger sind auch im 20. Jahrhundert nicht erschöpft. Dies wird für David wegweisend.
Im Dezember 1923 heiratet er Berta Eybl, musikalisch hochbegabte Kaufmannstochter, die ihm kongeniale Partnerin fürs Leben wird. David erhält eine Lehrerstelle in der Bezirksstadt Wels. Obwohl er katholisch ist, wird er Organist und Chorleiter der dortigen evangelischen Christuskirche. Seit dieser Zeit beschäftigt er sich intensiv mit dem evangelischen Kirchenlied, das in seinem Werk einen wesentlichen Platz einnimmt. Er gründet den Bachchor Wels, mit dem er bei gänzlich neuartigen und eigenwilligen Programmzusammenstellungen aufsehenerregende Aufführungen macht und hohe Anerkennung findet. 1925 und 1934 werden die Söhne Thomas Christian und Lukas geboren.
Was Karl Straube für Max Reger bedeutete, ist für Johann Nepomuk David Friedrich Högner, der mit Begeisterung für das Orgelwerk Davids diesen weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus bekannt macht. So wird aus dem Volksschullehrer David der Lehrer für Theorie, Komposition und Chordirigieren sowie der Leiter der Kantoreien am Leipziger Landeskonservatorium (später Musikhochschule). Hier ist es in erster Linie der Chorleiter, der bahnbrechende Arbeit leistet. Doch wird nach und nach auch die Bedeutung des Komponisten deutlich, zunächst in seiner Kirchenmusik, später auch in Kammermusikwerken und Kompositionen für großes Orchester. In Leipzig beginnt die lebenslang anhaltende Verbindung zum Verlag Breitkopf & Härtel.
Wie so viele andere durchlebte David in den Jahren des Nationalsozialismus die Spannung zwischen Ablehnung des Systems und dem Bedürfnis und der Notwendigkeit weiterzuarbeiten. Seine Ernennung zum Professor verzögert sich um viele Jahre, weil er als politisch nicht zuverlässig erscheint. Für Schüler und Kollegen steht seine menschliche und künstlerische Integrität außer Frage. So wird David 1942 kommissarischer Leiter der Hochschule. Zum persönlichen Erleben in dieser finsteren Zeit gehören der tragische Tod seiner begabtesten Schüler und die Ausbombung seiner Leipziger Wohnung mit dem Verlust sämtlicher Manuskripte. Als deutlichen Ausdruck seiner Einstellung zum Geschehen in der Zeit kann man etwa die Komposition "Symphonische Variationen über ein Thema von Heinrich Schütz" verstehen. Der Text des bearbeitenden Themas lautet: "Es steh' Gott auf, daß seine Feind' plötzlich zerstreuet werden" (aus dem Beckerschen Psalter).
Nach einem kurzem Intermezzo (1945 - 1947) in Salzburg als Leiter des Mozarteums kehrt David nach Deutschland zurück und übernimmt eine Professur für Theorie und Komposition an der Stuttgarter Musikhochschule. Auch hier beschränkt er sich nicht auf Komponieren und Theorieunterricht. Im Kammerorchester der Hochschule bringt David seine Studenten Werke von Bartok, Fortner, Krenek, Strawinsky und anderen intensiv und mit Leidenschaft nahe und setzt sich selbst mit dem Schaffen seiner Zeitgenossen auseinander. Er, der sich im Umgang mit dem eigenen Werk aufs Äußerste zurückhält, kann in der Arbeit mit Kompositionen anderer begeisterungsfähig aus sich herausgehen. Neben zahlreichen Ehrungen und Preisen erhält David den Ehrendoktor der evangelisch-theologischen Fakultät der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Er stirbt am 22. Dezember 1977 in Stuttgart.
Davids Oeuvre umfaßt das ausgedehnte Choralwerk für Orgel, geistliche und weltliche Chorwerke a cappella und mit Orchester, kammermusikalische Werke, Kompositionen für Soloinstrumente mit Orchester, Werke für Streichorchester sowie acht Symphonien. Sein kompositorischer Stil verbindet den Rückgriff auf tradierte Formen, insbesondere der imitatorischen Technik, mit einem daraus entwickelten ganz eigenen Klang. Zu erkennen, welche Möglichkeiten in einem Thema stecken, diese dann ausschöpfend zu behandeln, ist für David Grundlage seiner kompositorischen Arbeit. Sie führt in letzter Konsequenz zur Monothematik, zur Schaffung einer gesamten Komposition aus einem einzigen Thema, das sich in verschiedener Gestalt zeigt bis hin zur Polyrhythmik und Polytonalität. Häufig entstammt das thematische Material dem Gregorianischen Choral oder dem protestantischen Kirchenlied ebenso wie dem Volkslied, selbst in rein instrumentalen Werken. Auch Formen der Reihentechnik finden sich bei David. Aufschlußreich ist z.B. seine Beschäftigung mit dem magischen Quadraten: Die Zuordnung jeder Zahl zu dem entsprechenden Halbton über einem frei gewählten Grundton (=1) kann tatssächlich, wie im Fall des magischen Quadrats aus der Melancolia von Albrecht Dürer, musikalisch Sinnvolles, ja sogar symmetrische Qualitäten erhalten (siehe Beispiel). Seine Gegner werfen David vor, seine Musik sei konstruiert. Das ist völlig richtig, allerdings ist das bei ihm keine Schwäche, sondern Stärke; denn jeder Ton hat seinen unverwechselbaren Platz im Gesamtgefüge und ist doch zugleich Teil eines expressiven Klanges. So gesehen könnte David sicherlich als Bach des 20.Jahrhunderts gelten.
Läßt man sich auf die Musik ein, spürt man, daß Davids Kompositionen keineswegs nur konstruiert oder spröde Musik sind, sondern spontan zu fesseln, ja geradezu begeistern vermögen. Dabei sind sie so vielschichtig und sorgfältig gearbeitet, daß sie niemals langweilig werden und immer Neues zu entdecken bleibt.
 
 

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